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Interview www.ruvr.ru

RADIO MOSKAU 1929 - STIMME RUSSLANDS 2009


Wir werden 80 Nr.8
Es geht weiter in unserer Jubiläumsreihe, und das obwohl der Geburtstag unseres Senders nun schon knapp zwei Wochen her ist. Dieser Geburtstag ist aber ein besonderer und hat für uns natürlich nicht einfach am 29.Oktober aufgehört, genauso wie er auch nicht erst an diesem besagten Tag angefangen hat. Diese Freiheit nehmen wir uns und hoffen natürlich auf ihr Interesse, unsere Dokureihe „Wir werden 80“ fortzusetzen. Schließlich begeben wir uns jetzt auch in wilde Zeiten, die Neunziger Jahre. Eine turbulente Zeit in Russland, doch, wie war es damals beim Sender?

Valentina Hoscheva: Das war eine komplizierte Zeit. Einerseits war das für das Land und unsere Redaktion eine schwierige Zeit. Urteilen Sie selbst: Zerfall der Sowjetunion. Das ist nicht nur ein Spruch, das ist wirklich ein Zusammenbruch. Und unsere Zukunft schien nicht so rosig zu sein. Valentina Hoscheva bedarf wohl keiner Vorstellung bei unseren Hörern. Schließlich ist sie schon in den letzten 10 Jahren die Chefredakteurin der deutschen Redaktion der „Stimme Russlands“. Die Neunziger Jahre hat sie sehr gut mitgekriegt.

Valentina Hoscheva: Ich war sehr lange die stellvertretende Abteilungsleiterin. Vielleicht 10 Jahre oder so was. Die Chefs kamen und gingen. Und dann wurde ich 1999 Abteilungsleiterin. Nastja: Das heißt Anfang der Neunziger und während dieser Zeit waren sie stellvertretende Abteilungsleiterin. Was war das damals für eine Zeit, welche Atmosphäre herrschte hier?

Alexander: Sudnischnikov: „Radio Moskau der Neunziger Jahre ist wahrscheinlich die interessanteste Zeit im Leben des Auslandfunks. Des sowjetischen und dann russischen Zeitraums. Aber diese Person kennen sie noch nicht. Das ist Alexander Sudnischnikov. Er ist der stellvertretende Chefredakteur der Westeuropäischen Redaktionen bei unserem Sender. Wie so viele ist er schon seit Ende der Sechziger Jahre bei unserem Radio tätig. Und die Neunziger Jahre nehmen bei ihm einen besonderen Platz ein.

Alexander Sudnischnikov: In dieser Zeit bin ich gerade aus der europäischen Abteilung – damals war ich in der Albanischen Redaktion tätig, — in die siebte Etage, die Hauptredaktion für Informationen des Auslandsfunks gewechselt. Dort habe ich mich mit thematischen Programmen beschäftigt. Mir war damals bewusst, dass die Kommunistische Partei nun eine neue Sicht auf alles, was im Land passierte entwickelte, auch im Bereich der Propaganda. Und unser Sender war damals im Grunde „das Sprachrohr“ der Partei, und das Format, was das Moskauer Radio hatte, war in dieser Zeit einfach nicht mehr so annehmbar. Weder von der Struktur her gesehen, noch ideologisch. Obwohl wir uns damals schon im Sender verteidigt haben und gesagt haben, dass es nicht mehr der sowjetische Auslandsfunk ist von damals, sondern etwas Neues entsteht und eine neue Berichterstattung ihren Weg einschlägt. Ein neuer Weg mit einem neuen Namen? Unschwer ist ihnen aufgefallen, dass Alexander Sudnischnikov noch den alten Namen des Senders erwähnt hat, Radio Moskau. Wie kam es aber dazu, dass wir zur „Stimme Russlands“ wurden?

Valentina Hoscheva: Das war auch so Mitte der Neunziger Jahre und alle waren dagegen. Ich meine die Mitarbeiter. Nastja: Die Initiative kam von Oben? Hoscheva: Ganz von Oben. Und wir hatten wunderbare Tonzeichen, also „Schiroka strana moja rodnaja“ als Glökchen. Das war so erkennbar! Jeder verstand sofort, dass er Moskau hörte. Da hat man den Sender umbenannt, obwohl alle dagegen waren, vielleicht auch eine Art Globalisierung. „Stimme Amerikas“, Stimme Russlands. Naja, warum nicht. Alle wussten ja das es Radio Moskau ist.

„Schiroka strana moja rodnaja“ und Tonzeichen: Hier spricht Moskau.
Valentina Hoscheva: Geschrieben haben wir, gesprochen, aber alles umsonst.

Alexander Sudnischnikov: Die Stimme Russlands“ bekam ihren neuen Namen als Analog zu „Voice of Amerika“. Und ohne Zweifel ging das unter anderem auch von unserem ehemaligen Intendanten, Herrn Oganesjan, aus, der viele Jahre als Chefredakteur der englischsprachigen Redaktion gearbeitet hat. Es war einfach so, dass das Moskauer Radio auch seiner Hörerschaft beigebracht hatte, wir sind der Kreml-Lautsprecher. Eine Art Tonspur der Parteizeitung „Pravda“.

Und das sollte sich von da an ändern. Die Zeit der Veränderungen brachte auch Veränderungen ins Programm.

Valentina Hoscheva: Also eine schwierige Zeit war das, aber andererseits, es kam etwas in Bewegung. Wir hatten plötzlich neue ausländische Mitarbeiter, freie und manchmal fest angestellte. Und wir hatten eine Dame, Elke Windisch war das glaube ich, sie hat eine Sendung erfunden, „Wind of Change“.

Valentina Hoscheva: Dieses berühmte Lied begleitete diese Sendung. Denn das war Anfang der Neunziger Jahre die Zeit der Veränderungen. Jeden Tag etwas Neues. Nicht immer Gutes, nicht immer Richtiges, aber etwas Neues. Und so hier auch die Sendung, der Wind der Veränderungen.
Ziel und Sinn dieser Sendung war es das, was bei uns im Lande, in Russland geschieht, mit den Augen eines Ausländers zu zeigen. Da hatten wir schon genügend Ausländer in der Redaktion und ihnen glaubte man mehr natürlich. Denn, wenn ich mich Valentina Choschewa, ans Mikrophon setzte und sage, ach haben sie keine Angst, es gibt alles zu Essen und dies und jenes, dann wird man denken sie macht gute Werbung für ihr Land. Aber Ausländer sehen das anders. Manche gut gesinnt, manche vielleicht nicht so freundlich, aber anders. Und diese Sendung wurde sehr populär. Aber mit der Zeit wurde alles irgendwie stabiler, und es gab immer weniger Veränderungen und Neues im Land und da haben wir die Sendung umbenannt. Daraus wurde das Moskauer Mikroskop. Da haben wir uns auf die Ereignisse in Moskau beschränkt. Da wollten wir den Hörern erzählen, wie es in Moskau zugeht, mit dem Alltag eben, was alle interessiert. Diese Sendung existierte fast 10 Jahre und letztes Jahr haben wir sie eingestellt.

Alexander Sudnischnikov: In diesen Jahren den Zeitgeist gespürt und ehrlich gesagt, waren das meine spannendsten Jahre beim Sender. Warum? Erstens, die Sichtweise darauf, wofür wir arbeiten und über was wir berichten fing an sich zu verändern. Der Hörer blieb ja im Grunde der Selbe und blieb uns heilig, aber was sich veränderte in der Berichterstattung, wir fingen an mehr über uns selber zu erzählen, darüber, was bei uns in dieser Zeit geschah. Damals passierte alles in Moskau und wir waren hier, vor Ort. Alles was die Außenpolitik Russlands, die Struktur des Staates, die Menschen, die an die Macht wollten und die es dann geschafft haben, da waren wir mitten drin. Das weiße Haus, Jelzin, das Ende Gorbatschevs – diese dramatische Zeit. Alles was damals in Russland geschah, färbte auch so oder so auf unsere Nachbarn in Osteuropa ab.

Valentina Hoscheva: Wir waren unsicher, was unsere Zukunft anbetrifft. Und ich muss aber sagen, dass unsere Hörer immer für uns waren. Sie haben geschrieben, dass sie sich Sorgen machen um unsere Zukunft, und das war eine moralische Unterstützung für uns. Manchmal hatten wir sogar solche Pläne, dass wenn man uns einstellt, dann eröffnen wir ein deutsches Cafe. Aber glücklicherweise haben wir das alles überstanden.

Schwierig, aber….aber auch spannend, wenn Ereignisse, die dein Land und ja, vielleicht die Welt verändern vor deiner Haustür passieren, dann hat dies schon fast etwas Romantisches?

Alexander Sudnischnikov: Worin bestand der Romantismus unserer Arbeit damals: wir haben angefangen darüber zu reden, über was wir nie zuvor geredet haben. Bei uns veränderte sich das Wertesystem, oder, wir haben angefangen unser altes umzudenken, auch die Autoritäten, die wir in der Politik hatten, dachten wir um, auch die Ideologie. Überhaupt, das Wort „Ideologie“ wurde in dieser Zeit quasi zum Schimpfwort. Unsere Korrespondenten gingen mit den Leuten raus auf die Straßen, sie waren mitten drin im Geschehen. Die Berichte wurden unter dem Motto „De-Ideologisierung“ gemacht, und das ging auch von den Chefredakteuren aus.

In der deutschen Redaktion kamen und gingen sie aber ein und aus. Die Neunziger Jahre, war eine Zeit nach Wladimir Ostrogorski, der viele Jahre der Chefredakteur der deutschen Redaktion gewesen ist. Er war es, der das so genannte drei-stufige Programm einführte, mit Nachrichten, Kommentaren und ausführlichen Berichten, und auch Valentina Hoschewa ist seine Schülerin. Doch nicht nur sie hat Ostrogorskijs Schule fortgesetzt, in den Neunziger Jahren waren ausführliche Berichte schließlich in allen Redaktionen des Senders über die Ereignisse in Russland wichtig.

Alexander Sudnischnkiov: Für jedes Ereignis haben wir gleich mehrere Korrespondenten zusammen hin geschickt, der eine hat sich dann mit der konkreten Thematik beschäftigt, der andere hat Meinungen in der Menge gesammelt, der dritte hat versucht offizielle Statements zu bekommen, und daraus wurde ein Bericht zusammen gestellt, ein Programm. Wir hatten eine spezielle Journalistengruppe, die an den Brennpunkten, also sprich, Fernsehturm, Weißes Haus, Rathaus, stationiert waren und immer berichten konnten, sobald etwas passierte. Sie waren Zeugen von menschlichten Tragödien, wie bei dem Fernsehturm Ostankino, als viele friedliche Demonstranten verletzt und getötet wurden, und oft haben auch sie Verwundete weg getragen und waren in Mitten der Demonstranten.

Das war am 3.Oktober 1993. Im Jahre 1997, ein Jahr vor der großen Finanzkrise in Russland, kam eine weitere Mitarbeiterin in die deutsche Redaktion, Rita Tolstowa. Sie arbeitet immer noch als Übersetzerin mit uns und erinnert sich noch gut an die Stimmung dieser Zeit.

Rita Tolstowa: Na die Stimmung war gut, insgesamt die Atmosphäre und an der Atmosphäre hat sich seit dem nicht viel verändert, ist eben noch viel da von der Atmosphäre, die es zu Sowjetischen Zeiten gab. Deshalb ist es angenehmes Arbeiten. Nastja: 1997 war ja ein Jahr vor der Krise 1998. Waren es schwierige Zeiten hier? Rita Tolstowa: Es gab bei uns Gott sei dank keine Verzögerungen bei Gehaltszahlung was in anderen Betrieben eben vorgekommen ist. Es war natürlich aufregend, die ganzen Ereignisse, aber so im Großen und Ganzen haben wir ja die Krise überstanden.

Rita Tolstowa: Wir haben eben über diese ganzen Sachen berichtet, geschrieben, unsere Kommentare gegeben darüber, haben einfach beschrieben wie die Situation im Lande war. Über Probleme in vielen Betrieben. Wir haben ja auch viele Probleme in Russland und Deutschland behandelt. In Deutschland wurde zu der Zeit gerade die Entschädigung für die Zwangsarbeiter, die ehemaligen behandelt. Neben all den anderen Problemen.

Die Neunziger. Ein Jahrzehnt, das der Redaktion Sorgen, aber auch Hoffnungen brachte, wie auch dem ganzen Land. Die waren dann irgendwann vorbei, wie auch viele Träume. An ihre Stelle kamen mit der Zeit neue, wie das immer so ist.

Valentina Hoschewa: Als die Sowjetunion noch jung war, da träumte man von einer Weltrevolution. Das war ein Traum. So was hat nicht statt gefunden. Und jetzt träumt man vielleicht noch immer von einer Globalisierung. Warum hat man im Zentrum Europas so viele deutsche Programme eingestellt. Man sagt, man spricht ja sowieso überall Englisch. Ich finde, das war ein Fehler. Aber seltsamerweise haben wir das alles überlebt.

Und mit 80, fängt bei uns alles erst an…





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